Der harte Alltag in der Hamburger Justiz - Hinter schussfesten Scheiben

Artikel, Britta Eder, Hamburger Abendblatt 11.03.2017

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Zeki E. spreizt die Finger zum Sieges-Zeichen, winkt hinüber zu seinen Freunden im Zuschauerraum. Während sich Angeklagte sonst vor Fotografen oder Kameraleuten hinter Aktendeckeln oder Jacken verschanzen, lächelt der Kurde in jedes Objektiv. An diesem Freitagmorgen startet sein Staatsschutzverfahren vor dem Oberlandesgericht. Schusssicheres Glas und Fangnetze trennen Verhandlungsraum und Zuschauerbänke. Wer dieses Verfahren beobachten will, muss nach den scharfen Kontrollen am Eingang des Strafgerichts durch eine weitere Sicherheitsschleuse wie an Flughäfen. Es ist der Saal für die Risiko-Prozesse – auch gegen Mohamad B., der seine Frau verbrühte, wird hier verhandelt.

Zum Hochsicherheitstrakt umgebaut wurde der Saal 237 für den Prozess im Oktober 2002 gegen den Harburger Studenten Mounir el M., einen der Terrorhelfer bei den Anschlägen vom 11. September 2001 in den USA. Damals riegelte die Polizei die Straßen vor dem Gerichtsgebäude komplett ab, Reporter aus dem In- und Ausland warteten drei Stunden, um einen der begehrten Presseplätze zu bekommen. Der Prozess gegen M., der später zu 15 Jahren Haft verurteilt wurde, war ein Weltereignis.

Verglichen mit den Herbsttagen 2002 bleibt der Auflauf diesmal bescheiden. Auch die Anklage – Zeki E. soll sich in Deutschland um "organisatorische, finanzielle, personelle und propagandistische Angelegenheiten" einer terroristischen Vereinigung im Ausland gekümmert haben – klingt verglichen mit den Massenmorden vom 11. September banal. Und doch hat dieser Prozess eine enorme politische Brisanz. Denn das Staatsschutzverfahren dreht sich um die PKK, jene kurdische Organisation, die von der Bundesregierung als terroristisch einstuft wird. Die PKK-Sympathisanten berufen sich auf ihr Widerstandsrecht gegen ein türkisches Regime, das sie seit Jahrzehnten unterdrücke. Ist die Türkei unter Präsident Recep Tayyip Erdogan auf dem Weg in eine Diktatur, die sich nicht scheut, auch ausländische Journalisten wie den "Welt"-Korrespondenten Deniz Yücel einzusperren? Auch darum wird es in diesen Prozesstagen im Saal 237 gehen.

Schon die ersten Minuten machen deutlich, dass die Verteidigung in diesem Verfahren in den Angriffsmodus schalten wird. Die Hamburger Anwälte Alexander Kienzle und Britta Eder rügen eine aus ihrer Sicht zu geringe Besetzung des Gerichts mit drei Berufsrichtern – fünf wären aus ihrer Sicht angemessen –, fordern einen weiteren Pflichtverteidiger sowie eine "dienstliche Erklärung" des Vorsitzenden Richters, ob man versucht habe, ihn politisch unter Druck zu setzen; schließlich sei er in türkischen Medien scharf attackiert worden, nachdem er in einem anderen PKK-Verfahren eine Bewährungsstrafe verhängt hatte.

Für Kienzle und Eder, das wird sofort klar, geht es um mehr als um ein Mandat. Beide sehen sich als politisch denkende Anwälte, konsequent links. "Das können Sie schon daran erkennen, dass ich niemals einen Nazi verteidigen würde", sagt Kienzle, kahler Schädel, sehr hager, federnder Gang. Im Münchner Mammut-Verfahren wegen der Morde des Nationalsozialistischen Untergrunds (NSU) vertritt Kienzle derzeit die Angehörigen eines Opfers, sorgt dort mit eigenen Recherchen in den Akten des Verfassungsschutzes bundesweit für Aufsehen.

Für den Prozess gegen Zeki E. haben Kienzle und Eder einen 75-seitigen Antrag auf Einstellung des Verfahrens vorbereitet, den sie über Stunden verlesen. Die Verteidiger holen die Grausamkeiten der türkischen Militärdiktatur in den 1980er-Jahren in den Saal 237, sprechen über Folterungen: "Gefangene wurden mit Knüppeln vergewaltigt, in Wannen voller Exkremente getaucht, in Käfige mit Ratten gesperrt." Und auch jetzt werde die kurdische Bevölkerung brutal unterdrückt. "Ich wurde in meiner Heimat über Wochen gefoltert", sagt Zeki E. Er sei kein Terrorist, er leiste nur Widerstand. Die Kurden im Gerichtssaal applaudieren.

Andererseits gibt es sehr wohl militante Ableger der PKK, erst im Dezember starben bei einem Anschlag in Istanbul 40 Menschen. Für den Generalbundesanwalt bleibt die Organisation daher eine terroristische Vereinigung. Eine Art Deal – Geständnis und Reue gegen eine mildere Strafe – kann es im Saal 237 nicht geben. Wie auch? "Unser Mandant wird sich niemals von den Zielen der kurdischen Freiheitsbewegung distanzieren", sagt Kienzle.